Den folgenden Bericht von Meike möchten wir Euch nicht vorenthalten.
Eine bewegende Geschichte aus dem alltäglichen Stallgeflüster.
Irina
Es ist gegen sieben als ich den Stall aufschließe.
Leises Brummeln begrüßt mich aus dem Halbdunkel, es riecht angenehm
nach Pferd.
Ich lasse die Lichter an der Decke aufflackern und gehe die lange
Stallgasse entlang.
"Guten Morgen!"
Alle wohl genächtigt, gesund und zufrieden?
Ein einzelnes verschlafenes Schnauben ist die Antwort, der Rest
meiner Pfleglinge blinzelt mir müde entgegen.
Erst als ich den schweren Futterwagen aus der schmalen Kammer ziehe
kommt Leben in die Bude. Ungeduldig scharren sie mit den Hufen, klopfen gegen die Boxenwände
und ziehen mit ihren Zähnen die Gitterstäbe hinauf und herunter.
"Ruhe im Saal, jeder bekommt sein Essen!", ordne ich an. Das Geforderte bleibt ungehört.
So beeile ich mich, jedem Tier gerecht zu werden, verteile
goldgelben Hafer in die Futtertröge, garniert mit Möhren oder
kleingeschnittenen Äpfeln.
Einige Tiere bekommen zusätzlich Medikamente in ihre Ration,
manchmal ein Kunststück diese genau dosiert in die Pferde hinein zu
kriegen.
Nach der Fütterung herrscht Ruhe.
Zufrieden schiebe ich den Futterwagen zurück und höre den Tieren
beim frühstücken zu.
Ich krame allerlei Bürsten und Kämme hervor, Morgentoilette - die
Herrschaften wollen gepflegt sein.
Vor Irinas Box bleibe ich stehen.
Für sie ist es heute der letzte Tag auf dem Gestüt.
Kurz sehe ich ihr beim Fressen zu, dann schiebe ich die schwere Tür
zu ihrer Wohnstube auf.
Irina unterbricht ihre Mahlzeit, hebt ihren Kopf und sieht mich an.
Ihre dunklen Augen glänzen.
Sie zieht die Nüstern kraus, schlägt mit dem Schweif, das Putzen hat
sie nicht so gerne.
Dabei muss sie heute ganz besonders schön sein.
Ich seufze.
Irina - es tut weh dich gehen zu lassen.
Ich stehe nun neben ihr, gegen den Futtertrog gelehnt. Irina lässt
es sich schmecken.
Sie ist nicht wählerisch, weiss aber zu genießen. Zuerst die Körner,
dann das Gemüse.
Als sie geboren wurde war ich dabei, sie wollte nicht so recht in
die Kälte der ihr noch unbekannten Welt und brauchte Hilfe. Die erste Milch bekam sie aus der Flasche.
Dazu musste ich ihre Mutter melken welche furchtbar kitzelig an
dieser Stelle war und sich dementsprechend anstellte, ihr Kind
trinken zu lassen.
Dieses zarte fellbespannte Bündel war ihr erstes
Fohlen.
Doch Irina gedieh prächtig.
Im Kindergarten benahm sie sich weitestgehend schlecht, pöbelte
herum und prügelte sich mit den Jungs.
Der Glanz ihres dunklen Haarkleids wurde ständig durch Blessuren,
Schrammen und hin und wieder durch arg blutende Bisswunden
unterbrochen.
Meine Finger fahren jetzt über ihre Narben und vergraben sich
anschließend in ihrer dichten Mähne.
Diese ist inzwischen mit Silbergrauen Fäden durchzogen, ein
Lametta Ross mit ergrauter Stirn.
Irinas Geschichte ist lang.
Es ist bereits ihr 18. Jahr auf dieser Erde.
Als die Stute ihr Pflegelalter verließ wurde sie zum Reitpferd.
"Das ist eine für den großen Sport.", stellten sie damals zufrieden
fest.
Ihre Bewegungen sind geschmeidig, Taktrein und Raumgreifend.
Und sie ist wunderschön.
Ihr schlankes edles Köpfchen mit diesen ausdrucksstarken Augen, ihre
Ohren Mondsichelartig geformt, ihr Körper elegant, sehnig auf langen
Beinen - sie wusste zu begeistern.
Irina ging den Weg eines Dressurpferdes.
Ausgebildet bis zur höchsten Klasse.
Kein Viereck blieb ihr fremd, kein Turnier ungenutzt.
Je besser sie wurde, je mehr Talent sie zeigte - umso vorsichtiger
gingen sie mit ihr um.
Die Tage draußen auf der Weide, das Herumbalgen, das Wälzen im
Dreck, das Toben gehörten bald schon der Vergangenheit an.
Irina stand in ihrer Box, die Beine in Bandagen gehüllt, ihr Körper
im Winter geschoren und in warme Decken geschnallt. Im Sommer durfte sie hin und wieder auf ein kleines Paddock und
manchmal sah sie aus dem Fenster den Spatzen beim Sandbaden zu.
Ihre Bewegung kontrollierten jetzt die Reiter, unter dem Sattel, an
der Longe, in der Führmaschine.
Nach drei Jahren kam Irina das erste Mal wieder auf das Gestüt
zurück.
"Es gehe ihr nicht so prickelnd, sie zeigt keine Leistung, braucht
wohl eine Pause..."
Das stimmte.
Irina fraß nicht mehr, sah ruppig und verstimmt aus, ihr Fell ohne
Glanz.
Der Tierarzt diagnostizierte Magengeschwüre.
Über den Winter versorgte ich sie mit Medikamenten und wir gewöhnten
sie wieder an eine Koppel.
Fast schien es als mussten wir ihr erst wieder beibringen ein
richtiges Pferd zu sein.
Und sie erholte sich, galoppierte und bockte herum, verschlang ihre
Mahlzeiten mit Appetit, ein heiteres, fröhliches, ja direkt albernes Ross.
Kurz vor Beginn der grünen Saison wurde sie plötzlich abgeholt.
Der Sportpferdealltag hatte sie wieder, Irina konnte wieder tanzen.
Der Transporter im darauffolgenden Herbst brachte sie mir zurück.
Magengeschwüre und eine Verletzung am Sehnen - und Bänderapparat.
So verging ein weiterer Winter der Genesung dem wieder ein
Sportlersommer folgte.
Die Jahre schlichen vorbei, Irina kam, Irina ging, ein scheinbar nie
enden wollener Zyklus.
Irgendwann wurde Irinas Sportlerkarriere für beendet erklärt.
Sie hatte sich zudem eine Hufrollenentzündung zugezogen. Da sie
lange in ihrer Box stehen musste gesellte sich dazu eine äußerst
schmerzhafte Hufrehe - neben ihren ohnehin bestehenden
Magenproblemen ein somit nicht all zu erfreulicher Zustand.
Nun sollte Irina also Mutter werden.
Ihre Kinder würden so wunderbar tanzen wie sie es einst konnte,
prognostizierte man uns...
Doch Irina hatte andere Pläne...
Sie wurde immer wieder besamt, nahm nicht auf und wenn resorbierte
sie die Frucht.
Hormonelle Medikamente erreichten bei ihr nichts.
Danach wurde sie erneut künstlich in Rosse gebracht - nur Irina
hatte keine Lust auf plüschige Pferdekinder und blieb ihr erstes
Jahr als Mutterstute leer, dh. kinderlos.
Dafür und das war ihr zu Recht viel wichtiger wurde sie wieder ein
richtiges Pferd, mit überschäumenden Temperament, Lebenslust und den
Kopf voll mit Schabernack. Im Jahr darauf schenkte sie ihrem ersten
Fohlen das Leben. Weitere sollten über die Zeit folgen, jedoch konnte keines ihrer
Kinder die hohen Erwartungen der Gestütsbesitzer erfüllen.
Ich hingegen fand alle ihre Fohlen wohl geraten, gesund und
charakterfest - allein das zählte nicht.
Irina landete auf der sogenannten Abschußliste.
Und nun stehen diese herrliche Stute und ich hier, an diesem kühlen
Morgen, sie rührt immer noch in ihrer Krippe herum und sucht auch
das letzte Haferkorn heraus.
Ihr Fell habe ich auf Hochglanz
gebracht, ihr Schweif hängt seidig herab.
Mein gutes Mädchen, wo schicken sie dich bloß hin?
Wird es ihre letzte Reise sein?
Der Gedanke zuckt mir schmerzhaft durch die Brust.
Ein Pferd wird unbrauchbar als Sportgerät, als Zuchtmaschine - oft
wartet dann nur noch das Bolzenschußgerät oder die Spritze ins
Jenseits, manchmal aber eben auch ein Verkauf.
Abgeschoben nach so vielen Dienstjahren, wo kommst du hin, wer wird
für dich sorgen?
Der schwere Transporter fährt auf den Hof.
Es ist soweit.
In zwei Tagen ist die Auktion. Irina wird versteigert.
Was für Chancen hat eine magenkranke alte Stute ohne erfolgreiche
Nachkommen?
Manchmal aber nur sehr selten finden diese Tiere einen lieben
Menschen der ihnen ihren wohlverdienten Ruhestand gönnt. Doch das bleibt die Ausnahme.
Ich schäme mich, komme mir wie eine Verräterin vor.
Irina will nicht auf den Hänger.
Patzig bohrt sie ihre Hufe in das feuchte Gras.
Hinter ihr steht jemand und wedelt ungeduldig mit der Peitsche.
Irgendwann gibt Irina auf, lässt sich brav verladen.
Ein letztes Mal streiche ich über ihr seidiges Fell.
Dann laufe ich schnell und feige die Verladeklappe hinunter und
verschwinde mächtig beschäftigt zurück in den Stall.
Als der LKW langsam durch das Gestütstor fährt höre ich Irina
wiehern.
Ich werde sie nie wieder sehen.
Irinas Geschichte steht für so viele, für unzählige Tiere.
Die Industrialisierung ist leider auch längst in der Pferdezucht -
und im Pferdesport angekommen.
Von Liebhaberei kann nicht mehr die Rede sein, eher knallhartes
Geschäft, betrachten wir diesen Umgang den wir unseren Tieren
angedeihen lassen. Dennoch gibt es immer mehr Denkende und Fühlende
wie Meike.
Diese ist inzwischen aus ihrem Beruf als Pferdewirtin ausgeschieden
und engagiert sich im Tierschutz.
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